Online-Vortrag von Dr. Cosima Clara Gillhammer (Christ Church, Oxford) in der interdisziplinären Veranstaltungsreihe „Kultur im Kloster“

Als erste vollständige Übersetzung der Vulgata in die englische Sprache nimmt die Wyclif-Bibel eine einzigartige Stellung in der Textkultur im England des Mittelalters ein. Mit mehr als 250 erhaltenen Handschriften und Fragmenten ist diese Bibelübersetzung der bestüberlieferte englische Text in der Zeit vor der Einführung des Buchdrucks. Obgleich sie in erster Linie mit dem Reformer John Wyclif (ca. 1330–1384) in Verbindung gebracht wurde, ist die Bibel das Produkt eines Übersetzungsprojekts, an welchem viele Übersetzer und Wissenschaftler beteiligt waren. So erstreckte sich dieses Projekt nicht nur auf die Übersetzung der Vulgata selbst, sondern auch auf eine Vielzahl von weiteren auf die Bibel bezogenen Texten, z. B. theologische Schriften, Bibelkommentare und liturgische Texte.

Der Vortrag befasst sich mit einer Gruppe von Texten der letzteren Kategorie, dem sogenannten Old Testament Lectionary – einem Lektionar, welches ausschließlich Übersetzungen der dem Alten Testament entnommenen Lesungen für die Messfeier enthält. Das Lektionar befindet sich damit an einer wichtigen Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Quelltexten. Einerseits bezieht es sich auf den Bibeltext der Vulgata, andererseits aber auch auf die spezifische Verwendung der Bibel im Kontext der Liturgie nach dem Brauch von Salisbury, für welche die Bibeltexte mitunter bearbeitet wurden. Der Vortrag stellt die Ergebnisse der Arbeit an der ersten vollständigen Edition des Lektionars anhand von zwei Leitfragen vor. Zum einen steht im Mittelpunkt die Frage nach der Textgestalt des Lektionars, seiner Quellen und Translationstechnik: In welcher Beziehung steht das Lektionar zur Wyclif-Bibel, und welche Rückschlüsse erlaubt es in Bezug auf die Quellen und Techniken, welche das Wyclif-Übersetzerteam verwendete? Diese Analyse von Textdetails führt in einem nächsten Schritt zur Frage nach dem ‚Sitz im Leben‘ dieser Texte: Ermöglicht das Lektionar Rückschlüsse auf den Gebrauch von volkssprachlichen Texten in der Liturgie im spätmittelalterlichen England?

Cosima Clara Gillhammer ist Junior Research Fellow und Lecturer in anglistischer Mediävistik an der Universität Oxford. Sie promovierte über spätmittelenglische Geschichtsschreibung und Kompilationstechnik; ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Gebiet mittelenglischer Bibelübersetzungen und -kommentare.

Zeit: Dienstag, 29.06.2021, 17.15–18.45

Zugangslink zum Onlinevortrag: https://bbb-greenlight.uni-rostock.de/b/hel-u99-x3j-wl5


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