Stellungnahme des Fakultätsrates zur angekündigten Reform der Lehrkräftebildung

Stellungnahme des Rates der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock zur angekündigten Reform der universitären Lehrer*innenbildung

Die Philosophische Fakultät teilt das Bestreben der Landesregierung, dem wachsenden Lehrkräftemangel entgegenzuwirken. Dabei müssen zugleich kurzfristige wie nachhaltige Bildungsinteressen berücksichtigt werden. Die angekündigte Reform der Lehrer*innenbildung im Land Mecklenburg-Vorpommern nimmt derzeit nach einem langen Prozess der Planung und Abstimmung zwischen den beiden beteiligten Ministerien Gestalt an. Nach aktuellem Informationsstand zeichnet sich ab, dass

  • statt einer Differenzierung zwischen Regionaler Schule und Gymnasium zukünftig nurnoch ein für beide Schulformen qualifizierender Studiengang zum Sekundarstufenlehramt angeboten werden soll
  • der Anteil der zwei Fachwissenschaften auf nur noch je 81 LP sinken soll, der mithin künftig nicht nur unter dem bisherigen Anteil des Lehramtsstudiengangs Gymnasium (102 LP), sondern auch des Lehramtsstudiengangs Regionale Schulen (87 LP) und unter dem Bundesdurchschnitt (ca. 90 LP) liegen würde
  • die Bildungswissenschaften mit 45 LP (darunter 21 LP Sonderpädagogik) vertreten sein sollen (Mittelwert zwischen den bisherigen Anteilen im Lehramt Reg und Gy)
  • die Fachdidaktiken um je 3 LP auf 18 LP aufwachsen sollen
  • die Praktika um 3 LP auf 18 LP aufwachsen sollen
  • die Kategorie „Querschnittsthemen“ mit 15 LP eingeführt werden soll
  • für die finalen Prüfungsleistungen („Staatsexamensprüfungen“) 3 zusätzliche LP veranschlagt werden sollen: 9 für die mündliche Prüfung und 15 LP für die Examensarbeit) (statt bisher insgesamt 21 LP).

Der Rat der Philosophischen Fakultät nimmt unter Kenntnisnahme des Standpunktpapiers der Hochschullehrer*innen der Mathematisch Naturwissenschaftlichen Fakultät wie folgt Stellung:

  1. Die Zusammenlegung der Lehrämter Regionale Schulen und Gymnasium ist lediglich geeignet, Studierende davon abzuschrecken, ein Studium an einer Universität in Mecklenburg-Vorpommern aufzunehmen. Das Ziel einer Erhöhung der Bewerber*innen für das schulische Lehramt würde dadurch konterkariert. Denn einerseits müssen Studierende mit dem Berufswunsch Regionalschullehrer*in die Qualifizierung für die gymnasiale Oberstufe absolvieren, andererseits müssen Studierende mit dem Berufswunsch Gymnasium damit rechnen, gegen ihren Willen an einer Regionalen Schule beschäftigt zu werden. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Attraktivität der Lehramtsstudiengänge im Land und damit die Zahl der Studierenden zurückgeht und folglich der bestehende Mangel an Lehrpersonal noch verschärft wird. Dies gilt umso mehr als die Anerkennung eines derart reformierten Studiums in den meisten Bundesländern fraglich ist, da diese an einer Differenzierung nach Schulform festhalten. Es würde ein „Sackgassenstudium“ geschaffen.
  2. Die Nivellierung der Curriculumsunterscheidung nach Schulform Regionalschule/Gymnasium produziert überforderte Lehrkräfte: An den gymnasialen Oberstufen Lehrkräfte, die fachlich den Anforderungen der Abiturvorbereitung nicht mehr gewachsen sind, und an den Regionalen Schulen Lehrkräfte, die den sozialen Differenzierungsanforderungen nicht gewachsen sind und wider Willen zu dieser Schulform gezwungen werden. Konsequenz wird die weiter steigende Tendenz zur Teilzeit und Erkrankung durch Burnout sein – sprich: zusätzlicher Verlust von Lehr-Ressourcen.
  3. Ziel muss es sein, den Lehrberuf in MV – und insbesondere den Lehrberuf an Regionalen Schulen – attraktiver zu machen, damit weniger Lehramtsabsolvent*innen das Bundesland verlassen oder in Teilzeit gehen.
  4. Die drastische Verringerung des Fachanteils um ein Fünftel gegenüber dem bisherigen Studiengang Lehramt Gy würde das fachliche Angebot für die Lehramtsstudierenden deutlich reduzieren und auf ein Basisniveau einschrumpfen, das kaum zur Erlangung von fachlichem Grund- und Überblickswissen, Methodenkompetenzen oder sicherer Beherrschung der studierten Fremdsprache hinreicht. Die daraus resultierende Senkung des Unterrichtsniveaus in der Oberstufe bedeutet nichts weniger als die faktische Abschaffung der Schulform Gymnasium durch die Hintertür und die dauerhafte Mangelausbildung zukünftiger Fachkräfte von der Schulbank an. Durch fachlich unsolide arbeitende Lehrer*innen angeleitete Schüler*innen können weder für ein Hochschulstudium interessiert noch auf dem Arbeitsmarkt konkurrenzfähig werden.
  5. Zudem beobachten die Lehrenden an der PHF – in Übereinstimmung mit den PISA- Studien-Ergebnissen – bereits seit Jahren ein sinkendes Niveau an fachlichem Grundwissen bei den Schulabsolvent*innen. Diese beunruhigende Tendenz würde mit einer zunehmenden Entfachlichung des Lehramtsstudiums unweigerlich in eine Negativspirale überführt werden: Gebraucht werden Brücken zum Fachwissen hin, nicht Fluchtwege vom Fachwissen weg. Es gilt angesichts der zunehmenden Wissenslücken der Studienanfänger*innen gezielt in den ersten beiden Semestern des Studiums fachliches Grundwissen und propädeutische Grundlagen zur Erleichterung des Studieneinstiegs zu vermitteln. Auch damit wären unnötige Studienabbrüche zu verhindern und die Zahl der Lehramtsabsolvent*innen effektiv zu steigern.
  6. Die sich bisher abzeichnenden Eckpunkte der Lehramtsreform würden auch zu keinen Einsparungen führen: Die vorgesehenen Aufwüchse wären nur durch die Schaffung neuer Stellen in den betroffenen Bereichen zu stemmen, während die Reduktion des fachwissenschaftlichen Studienanteils kaum Sparpotenzial bietet: Da die Fachwissenschaften an den Universitäten in Mecklenburg-Vorpommern jeweils nur über Mindestausstattungen verfügen, die gerade die notwendigerweise zu lehrenden Fachgebiete vertreten, und die zudem ohnehin für die Vorhaltung der BA- und Masterangebote gebunden sind, besteht bei ihnen kein wesentliches Einsparpotenzial. Die Reform würde folglich mangels Kürzungsmöglichkeiten erhebliche Mehrkosten verursachen.

Die an der Lehramtsausbildung beteiligten universitären Disziplinen – Bildungswissenschaften, Fachdidaktiken, Fachwissenschaften – sehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln die Notwendigkeit, dem akuten Lehrkräftemangel durch schnell wirksame Maßnahmen in der universitären Ausbildung zu begegnen und konstruktiv an einem reformierten Curriculum im Sinne einer nachhaltig soliden Lehramtsausbildung mitzuwirken. Gleichzeitig sind sie sich jedoch darin einig, dass der sich abzeichnende Reformentwurf nicht dazu geeignet ist, das allgemein anerkannte und mitgetragene Ziel der Behebung des Lehrkräftemangels zu erreichen. Die derzeitige Reformvorlage provoziert die Abwanderung von Lehramtsstudierenden und produziert dem Arbeitsalltag fachlich nicht gewachsene Lehrkräfte, die aufgeben oder in Teilzeit gehen. Und als Sekundäreffekt produziert sie Schüler*innen, die mit weniger Lust am Lernen noch weniger zur Beseitigung des Fachkräftemangels beitragen können und wollen.

Der Weg aus der Bildungsmisere führt nur über das ausgewogene Zusammenspiel von Fachdidaktiken, Bildungswissenschaften und den Fächern, die weiterhin solides Fachwissen vermitteln können müssen. Eine zukunftsfähige Konzeption der Lehramtsausbildung kann nur gelingen, wenn die Expertise der genannten universitären Disziplinen gehört und im Rahmen eines Dialogs mit den Universitäten des Landes einbezogen wird. Es gilt, den Lehrberuf in MV attraktiver zu machen, ohne ihn zu entprofessionalisieren.


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