Das Zusammentreffen 'westlicher' (griechisch-römischer) und orientalischer Bilderwelten in der Antike und der archäologische Diskurs

Prof. Dr. Lorenz Winkler-Horacek

Bilder spielen eine zentrale Rolle bei der Überwindung von Grenzen und beim Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen. Die Auswirkungen, die durch die Übernahme von Bildern und Bildmotiven entstehen, sind bislang nur in Ansätzen erforscht. 

Die Grundfrage dieses Forschungschwerpunktes lautet: Wie verändern sich gesellschaftliche oder religiöse Vorstellungen, wenn sie durch Bilder einer fremden Kultur ausgedrückt werden? Dies soll an Beispielen aus der Antike thematisiert werden. Im Mittelpunkt werden Epochen und Regionen stehen, in denen es zu einem engen Kontakt zwischen der griechisch-römischen und damit der eher westlich geprägten Mittelmeerwelt und den Kulturen des Orients kam. Ein struktureller Bezug zum aktuellen Bilderkampf zwischen Orient und Okzident soll dabei ausdrücklich gesucht werden.

Die Kulturen der Antike waren von starken wechselseitigen Einflüssen geprägt. Bereits die minoischen und mykenischen Kulturen des 2. Jahrtausends v. Chr. standen in engen Beziehungen zu Ägypten und Vorderasien. Diese Beziehungen wurden selbst bis weit in die sogenannten "Dark Ages" hinein aufrechterhalten. Seit dem späten 8. Jahrhundert und dann vor allem im 7. Jh.v.Chr. öffnete sich die griechische Kultur so weitgehend orientalischen Einflüssen, dass diese Zeit als "orientalisierende Epoche" in die Wissenschaft einging. Die Herausbildung einer figürlichen griechischen Bilderwelt erfolgte durch die Übernahme orientalischer Motive, griechische Mythen wurden durch östliche Vorbilder visualisiert. Die formalen Bedingungen dieses Prozesses werden seit langem intensiv erforscht. Die Wirkungen orientalischer und orientalisierender Bilder auf konkrete griechische Vorstellungen sind dagegen in vielen Bereichen noch nicht bekannt. An Beispielen der Mythenbilder kann aber gezeigt werden, dass die Visualisierung durch fremde Bildmotive auch eine Veränderung der eigenen Vorstellungswelt zur Folge hatte. Wenn beispielsweise die griechische Sphinx des thebanischen Mythos im 6. Jh.v.Chr. durch das Bild des sehr viel älteren Menschenlöwen aus Vorderasien und Ägypten dargestellt wird, so konkretisiert sich damit die Erzählung und das fremde Bild wirkt auch auf den Inhalt der Erzählung zurück. Oder Herakles gegen die lernäische Hydra: Das vielköpfige Schlangenwesen leitet sich von vorderasiatischen Darstellungen ab. Die visuelle Form des Monsters wird aber zu einem essentiellen Bestandteil der narrativen Sequenz, wenn jedem abgeschlagenen Kopf immer wieder neue Köpfe entspringen.

Der Austausch von Bildern über die Grenzen der Kulturen geht weit über die orientalisierende Epoche hinaus. Er erhält mit der politischen Zuspitzung des griechisch-persischen Konfliktes und der damit seitens der Griechen verbundenen Polarisierung zwischen Griechenland und dem Orient seit dem frühen 5. Jh.v.Chr. eine neue inhaltliche Qualität. Im Athen des 5. Jahrhunderts. werden die Perser einerseits zu einem kollektiven Feindbild stilisiert, andererseits greift die attische Kunst auch im staatlich repräsentativen Bereich auf persische Vorbilder zurück: So ist seit längerem bekannt, dass es eine Beziehung zwischen dem Fries des Parthenon und den Reliefs des großen Audienzsaales (Apadana) von Persepolis gibt. Die tributpflichtigen Völker des persischen Reiches stehen in einem ähnlichen kompositorischen Verhältnis zum Großkönig wie die Bevölkerung Athens zu den Göttern auf dem Parthenonfries. Doch gerade diese formalen Gemeinsamkeiten unterstreichen hier einen ideologischen Gegensatz. Die Übernahme bestimmter Strukturen der persischen Reliefs ist in Athen vermutlich der Ausgangspunkt, um eine ganz andere und vielleicht sogar antipersische Herrschaftsauffassung zu veranschaulichen. Im Gegensatz zur frühgriechischen Zeit könnten die bildlichen Gemeinsamkeiten hier dazu dienen, Abgrenzung zu visualisieren. Andere Beispiele dieser Zeit zeigen aber auch ganz andere Auswirkungen persischer Vorbilder auf die attische Gesellschaft des 5. Jh.v.Chr.

Mit der Eroberung Alexanders des Großen ändern sich die historischen Rahmenbedingungen. Der Orient wird zum Bestandteil der griechischen Welt und bleibt dies zumindest partiell bis in die Spätantike. Orientalische Herrschaftsauffassungen, religiöse Vorstellungen und Praktiken u.a. werden von der griechischen Kultur aufgenommen. Gleichzeitig aber dringt das visuelle Formenrepertoire Griechenlands und später auch Roms bis nach Indien vor. Es bleibt bis in die Spätantike bei einem engen Austausch der Bilder über die Kulturgrenzen hinweg, obwohl der Gegensatz Orient-Okzident spätestens seit der ausgehenden römischen Republik wieder zum politisch-kulturellen Paradigma wird. Auch hier sind zwar viele Phänomene bereits ausgiebig untersucht worden, speziell die Auswirkungen der griechischen und später auch römischen Bilder auf orientalische Vorstellungen und die der Bilder Vorderasiens auf Griechenland und Rom stellen aber unter dem Aspekt bildwissenschaftlicher Untersuchungen noch ein zukunftsweisendes Forschungsfeld dar. Welche Bedeutung haben orientalische Bildelemente in der römischen Kaiserzeit als visuelle Zeichen? Wie wirkt sich die orientalische Raumplanung und Architektur auf religiöse Vorstellungen der Griechen und Römer aus? Umgekehrt ist die Kunst der persischen Sasaniden in Teilen von römischen Bildelementen geprägt. Das gilt beispielsweise für die großen Felsreliefs, die u.a. den Sieg der Sasaniden über die Römer verherrlichen. Die bildlichen Darstellungen dieser Siege gehen auf Vorbilder aus der römischen Repräsentationskunst zurück. Dabei ist der Frage nachzugehen, in wie weit mit den Bildern auch weitere Elemente der Herrschaftsauffassung von den Römern übernommen wurden.

Der Bogen lässt sich bis in die Spätantike ziehen. So orientiert sich die Kunst der frühislamischen Dynastie der Umayyaden in weiten Teilen an Vorbildern aus den hellenistisch geprägten Kulturen der Mittelmeerwelt. Dies gilt besonders für den Bereich der privaten Herrschaftsrepräsentation in den sogenannten Wüstenschlössern. Deren bildliche Ausstattung spiegelt einen privaten Luxus wider, der unserer Vorstellung von einer islamischen Gesellschaft entgegen steht. Wir finden hier eine figürliche Kunst vor, die den Palästen vorbehalten war und die in den Moscheen vermieden wurde. Untersucht werden soll, in wie weit sich die Rezeption hellenistischer Bilder auf die frühislamische Oberschicht auswirkte und einen Lebensstil hervorbrachte (oder Ausdruck eines Lebensstiles war), der möglicherweise zum Sturz der Umayyaden führte.

Die übergeordnete Grundfrage lässt sich wie folgt präzisieren: Wie genau wirken sich die Bilder im kulturellen Kontext der Rezipienten aus? Sind sie aktiver Teil eines gesellschaftlichen Veränderungsprozesses? Spiegeln sie eine Angleichung der Lebensformen wider oder stehen sie eher für eine Abgrenzung? Welche Rolle spielen Bilder grundsätzlich in einem Akkulturationsprozess? Diesen und weiteren Fragen soll an den ausgesuchten Fallbeispielen nachgegangen werden. Ziel ist es, die Einzeluntersuchungen am Ende zu einem übergreifenden Modell zusammenzufügen und damit die Rolle und die Bedeutung des Bildes innerhalb eines kulturellen Austausches erkennbar zu machen.

Die Arbeiten des Forschungsschwerpunktes sollen sich in die aktuelle Diskussion über den sehr stark durch Bilder ausgetragenen Konflikt zwischen der westlichen und islamischen Welt einbringen. Der Fokus liegt dabei nicht nur auf der Aufdeckung visuell konstruierter Feindbilder, sondern auch auf den Wirkungen "fremder" Bilder auf die Kulturen der Rezipienten und deren Folgen. So führen beispielsweise die durch die Medien transportierten westlichen Bilder in den islamischen Ländern einerseits zu einer kulturellen Angleichung ("Verwestlichung") – deutlich spürbar auch in Ländern wie der islamischen Republik Iran – andererseits produzieren sie heftige Gegenreaktionen. Es gilt, die Rolle der Bilder in diesem Austausch zu analysieren.

Ausgehend von der aktuellen Situation und den aktuellen Fragestellungen soll der eigene Standpunkt innerhalb der archäologischen und altertumswissenschaftlichen Forschungsgeschichte bestimmt werden. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Orient war immer stark von den jeweiligen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen abhängig. Gleichzeitig wurde sie in den archäologischen Disziplinen von der Fächertrennung in Klassische Archäologie (Archäologie der griechisch-römisch geprägten Kulturen), Vorderasiatische Archäologie, Ägyptologie u.a. bestimmt. Gerade von Seiten der deutschsprachigen Klassischen Archäologie aus war der Blick auf den Orient im 19. und in weiten Teilen des 20. Jahrhunderts von Abgrenzungen geprägt. Man nahm den Orient und die orientalischen Einflüsse auf die griechische und römische Kunst zur Kenntnis, lehnte aber über die Bilder transportierte inhaltliche Einflüsse weitgehend ab. Noch 1993 bemängelte Hartmut Matthäus, bezogen auf die frühgriechische Epoche, dass die Vorbildwirkung östlichen Formengutes in der (klassischen) archäologischen Literatur meist im rein Ikonographischen und Kunsthandwerklichen gesehen und "die Möglichkeit der Rezeption nicht nur der Kunstformen, sondern auch der dahinter stehenden geistigen Vorstellungen, bestimmter Arten der Lebensweise, meist eher skeptisch beurteilt oder teilweise a priori negiert" werden. "Hinter solcher Grundhaltung scheinen immer noch – bewusst oder unbewusst – vorgefasste Werturteile, scheint die Antithese Abendland – Orient, die Vorstellung eines geistig beweglicheren, intellektuell überlegenen Griechentums zu stehen, das zwar äußere Formen, die im Osten wurzeln, aufgriff, sie aber stets mit neuen griechischen Inhalten erfüllte" (H.Matthäus in: K.Raaflaub, Anfänge des politischen Denkens in der Antike [1993] 166). Einem gut bekannten Corpus nahöstlicher Werke und Importe nach Griechenland standen lange Zeit nur wenige Arbeiten gegenüber, die sich mit den historischen Rahmenbedingungen und den Mechanismen des kulturellen Austausches beschäftigt hatten. Das Gleiche galt ähnlich für die anderen Archäologien. Verstärkt wurde der Mangel an kulturübergreifenden Betrachtungen auch dadurch, dass sich die Klassische Archäologie als erste archäologische Disziplin von den Philologien löste und sich als eigenständige Wissenschaft etablieren konnte, während andere Archäologien erst später diesem Vorbild folgten. So festigte sich die Klassische Archäologie als eine nicht philologische Leitwissenschaft und bestimmte aus einer kolonialistisch geprägten Perspektive heraus lange Zeit die Fragestellungen, Wertungen und auch die Sehgewohnheiten in der Auseinandersetzung mit den antiken Kulturen. Die Folgen für die Orientwissenschaften hat Stefan R. Hauser jüngst eindrucksvoll skizziert (St. R. Hauser in: Posthumanisitsche Klassische Archäologie. Historizität und Wissenschaftlichkeit von Interessen und Methoden. Kolloquium Berlin 1999 [2001] 83-104). Die griechisch zentrierte Weltsicht provozierte aber auch extreme Gegenpositionen, besonders in der angelsächsischen Forschung. Erwähnt sei hier mit Martin Bernals Black Athena ein Buch, das in den letzten 15 Jahren international eine heftige Kontroverse auslöste, in Deutschland allerdings kaum wahrgenommen wurde.

Im 20 Jahrhundert gab es aber auch Ansätze kulturübergreifender Arbeiten, die sich nicht als radikale Gegenmodelle zur Forschungstradition verstanden. Aus dem Forschungsfeld des frühen Griechenland seien hier als Beispiele nur die Arbeiten von John Boardman, Burkhard Fehr, Walter Burkert, Hans Georg Niemeyer oder Helmut Kyrieleis erwähnt. Seit Beginn der neunziger Jahre treten kulturübergreifende Arbeiten dann – man kann fast sagen massiv – in den Mittelpunkt des archäologischen Interesses, wie an einer Vielzahl von Publikationen und Projekten zu belegen ist (vgl. SFB 295 der DFG: Kulturelle und sprachliche Kontakte. Prozesse des Wandels in historischen Spannungsfeldern Nordostafrikas/Westasiens an der Universität Mainz; SFB 586 der DFG: Differenz und Integration. Wechselwirkungen zwischen nomadischen und sesshaften Lebensformen in Zivilisationen der Alten Welt an den Universitäten Halle-Wittenberg und Leipzig). Gleichzeitig arbeiten innerhalb der Projekte verschiedene archäologische und altertumswissenschaftliche Disziplinen sehr viel enger zusammen als dies früher der Fall war. Dem Verhältnis der westlichen (griechisch-römischen) und orientalischen Traditionen kommt in der gegenwärtigen Situation eine besondere Bedeutung zu. Die festgefahrene Dichotomie in Ost und West wird – auch angeregt durch die Ansätze der postcolonial studies – zu überwinden versucht und die Perspektive des Orients wird sehr viel stärker berücksichtigt.

Es gilt, diese Tendenzen der Forschung, ausgehend vom 19. Jahrhundert bis heute, wissenschaftsgeschichtlich zu erfassen. In einem zweiten Schritt sollen diese Forschungen und Fragestellungen in die gesellschaftlichen Kontexte eingebunden werden, in denen sie entstanden. Ziel ist es, die Wechselwirkungen zwischen den archäologischen Fragestellungen und den gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen ihrer Zeit nachzuzeichnen, um vor diesem Hintergrund auch die eigenen Ansätze kritisch zu hinterfragen.

 

Dissertationsprojekte:

  1. "Orientalische" Bilder und frühgriechische Mentalitäten.

  2. Die persische Kunst und das Klassische Griechenland.

  3. "Fremde Bilder" in religiösen Kontexten des Hellenismus.

  4. "Hellenistische" Bildtraditionen und die Herrschaftsrepräsentation in "orientalischen" Reichen: Parther – Sassaniden – Umayyaden.