Erzählen von Gewalt und Exil als Herausforderung der Literaturwissenschaft

Prof. Dr. Albrecht Buschmann

In der spanischsprachigen Welt sind die Erfahrung von Gewalt und nachfolgendem Exil seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine prägende Konstante. Das gilt für die spanische Kultur nach dem  Bürgerkrieg und das republikanische Exil ebenso wie für die meisten lateinamerikanischen Kulturen, die gezeichnet sind durch die Erfahrung von Diktatur, Unterdrückung, Folter, Exilierung; zum Teil bis auf den heutigen Tag, etwa in den Zentralamerika und der Karibik. Entsprechend standen und stehen die hispanoamerikanischen Literaturen vor der Herausforderung, einen dieser doppelten traumatischen Erfahrung angemessenen Ausdruck zu finden: Denn so schwer es ist, von Gewalterfahrung zu schreiben, soviel schwerer ist es, wenn man als Autor von dem Publikum getrennt ist, für das man diese kollektive Erfahrung von „Gewalt in sozialer Nähe“ (Isabella von Treskow 2005) literarisch darstellen möchte.

In der hispanistischen Literaturwissenschaft sind diese Themen seit langem Gegenstand der Forschung, allerdings vorwiegend innerhalb eines nationalliterarischen Blickwinkels, der republikanische Exilanten in Mexiko oder Argentinien, argentinische oder kolumbianische Autoren in Paris etc. vorwiegend in einem statischen und binären Modell betrachtet. Erst in den letzten Jahren setzt sich die Überzeugung durch, dass den transkulturellen Verschränkungen mit den aufnehmenden Kulturen sowie dem Austausch verschiedener Exilgemeinschaften untereinander (Interexil) mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss (vgl. Mari Paz Balibrea 2005, Susanne Klengel 2011), wenn man die Repräsentation von post-traumatischem Überlebenswissen sowie von dessen Transformationen in der Literatur besser verstehen möchte. Ausgeschlossen Schreiben wäre dann nicht als defizitärer Sonderfall der jeweiligen Nationalliteratur zu beschreiben, sondern als eine von mehreren Formen einer „Literatur in Bewegung“ (Ottmar Ette 2001).

Im Kontext einer transarealen Literatur- und Kulturgeschichtsschreibung sollen in dem Projekt die jeweiligen Exilliteraturen folglich als Archiv einer dynamischen Kulturkontaktsituation analysiert werden. Damit wird, wie in den anderen Projekten des Graduiertenkollegs, neben der besonderen Kulturkontaktsituation selbst, als die die Exilerfahrung zu sehen ist, auch der Wissenschaftsdiskurs zum Objekt der Analyse. Zu fragen ist also auch, welche blinden Flecken der bisherige nationalliteratische Fokus der Forschung unbearbeitet hinterlassen hat, welche Identitätsmodelle hinter der traditionellen Exilerzählung stehen etc.

 

Mögliche Promotionsprojekte

· Transnationale Netzwerke. Zeitschriften des republikanisches Exils und die Kulturen der Amerikas (1939-1975)

· Interexil in Südfrankreich. Republikanische Exilautoren und die europäische Literatur auf der Flucht (1939-1944)

· Agenten der Differenz. Übersetzen und Übersetzungsnarrative in den Literaturen des Exils

· Literatur und Diktaturerfahrung. Selbst- und Fremdbilder in ausgewählten Texten der argentinischen Literatur

· Literaturen ohne Ort? Zentralamerikanische Autoren und das Konzept einer „literatura transareal“

· Mehrsprachig Schreiben. Jorge Semprúns Sprachen der Suche

 

Laufende Promotionsprojekte

Anne Newball Duke: "Mnemotopografien und Transkulturalität in der Literatur chilenischer Schriftsteller mit deutscher Exilerfahrung"

 

Eigene Publikationen zum Projekt

 Monographien

- Max Aub und die spanische Literatur zwischen Avantgarde und Exil. Berlin, de Gruyter 2012 (Reihe Mimesis Bd. 51).

 Sammelbände

- (mit Alexandra Ortiz Wallner) Horacio Castellanos Moya y el arte de sobrevivir en Centroamérica. Themenschwerpunkt der Zeitschrift Cultura (El Salvador), 101/2009.

- (mit Isabella v. Treskow und Anja Bandau): Bürgerkriege der Romania [Sektionsakten]. Berlin, Trafo-Verlag 2008.

- (mit Isabella v. Treskow und Anja Bandau): Bürgerkrieg. Erfahrung und Repräsentation [mit einem Geleitwort von Herfried Münkler]. Berlin, Trafo-Verlag 2005.

 Artikel

- „Andere Stimmen in Miguel de Cervantes' Don Quijote: Juden, Übersetzer und Kulturkontakt im Spanien des 16. Jahrhunderts“, in: Rafael Arnold (Hg.): Jüdische Übersetzer – als Akteure interkultureller Transformation. Heidelberg: Winter 2013 (im Druck)-

- „Vuelve Scherezade: sobrevivir y convivir en Tirana memoria de Horacio Castellanos Moya“, in: Ottmar Ette / Werner Mackenbach / Gesine Müller / Alexandra Ortiz Wallner (Hg.): Trans(it)Areas. Convivencias en Centroamérica y el Caribe. Berlin, Edition Tranvía 2011, S. 231-241.

- „Édouard Glissant et l’autre paysage de la théorie caribéenne. Une approche aux littératures européennes“, in: Liliana Gómez / Gesine Müller (Hg.): Relaciones caribeñas. Entrecruzamientos de dos siglos / Relations caribéennes. Entrecroisements de deux siècles. Frankfurt a. M., Peter Lang 2011, S. 285-294.

- (mit José Manuel López de Abiada) „Calas en la última teoría de la violencia como desafío de las sciencias culturales“, in: Versants. Revista Suiza de Literaturas Románicas 57:3 (2010), S. 7-26.

-„Exil-Amerikas. Vom blinden Fleck in Luis Cernudas Variaciones para Tema Mexicano“, in: Ottmar Ette / Dieter Ingenschay / Günther Maihold (Hg.): EuropAmerikas. Transatlantische Beziehungen. Frankfurt a. M., Vervuert 2008, S. 125-141.