Die Stifterin

Brigitta Oestreich

Brigitta Oestreich geb. Rieger
geb. 26.06.1925 in Berlin, gest. 09.07.2011
Beruf: Sekretärin und Sachbearbeiterin in der gewerblichen Wirtschaft
Eheschließung mit Gerhard Oestreich am 7.07.1949 in Berlin.
Technische und schließlich wissenschaftliche Zusammenarbeit über den Tod von Gerhard Oestreich (1978) hinaus.

Nach der deutschen Wiedervereinigung verspürte Frau Oestreich den Wunsch, mit der Bibliothek ihres verstorbenen Mannes in einer Universität der neuen Bundesländer vielleicht eine Lücke füllen zu helfen. So kamen die Fachbücher mit Hilfe von Herrn Professor Kersten Krüger nach Rostock. Da er einen Kaufpreis dafür vermitteln konnte, Frau Oestreich die Bibliothek aber nicht verkaufen sondern stiften wollte, wurde mit dem Erlös die Gründung einer Stiftung beschlossen. Nach Übernahme der Treuhandschaft durch die Universität Rostock konnte die Oestreich-Stiftung am 4. Mai 1994 ihre Tätigkeit aufnehmen. Durch weitere Zuwendungen stockte Frau Oestreich das Stiftungskapital erheblich auf.


Publikationen der Stifterin

Veröffentlichungen

  • Hedwig und Otto Hintze. Eine biographische Skizze. In: Geschichte und Gesellschaft 11. Jg. Heft 4: Frauenleben (1985), S.397-419.
  • Mitarbeit an Winfried Schulze: Gerhard Oestreichs Begriff "Sozialdisziplinierung in der frühen Neuzeit". In: Zeitschrift für historische Forschung 14 (1987), S.265-302. (Italienische Übersetzung 1992).
  • Otto Hintze. In: Berlinische Lebensbilder - Geisteswissenschaftler, hrsg. von Michael Erbe. Berlin 1989 (Einzelveröff. der Historischen Kommission zu Berlin 60), S. 287-3o9.
  • Hedwig Hintze geborene Guggenheimer (1884-1942). Wie wurde sie Deutschlands erste bedeutende Fachhistorikerin? In: Annali. Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient XXII (1996), S.421-432.

Herausgeberschaft

  • Gerhard Oestreich: Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 1980. 442. S.
  • Gerhard Oestreich, Neostoicism and the early modern State. Englische Übersetzung ausgewählter Aufsätze, hrsg. mit H. G. Koenigsberger. Cambridge 1982. 28o S.
  • Otto Hintze und Hedwig Hintze, "Verzage nicht und laß nicht ab zu kämpfen ...". Die Korrespondenz 1925-1940.Bearbeitet von Brigitta Oestreich, hrsg. von Robert Jütte und Gerhard Hirschfeld, Essen 2004. 265 S.

Brigitta Oestreich (1925-2011)

Am 9. Juli 2011, kurz nach Vollendung ihres 86. Lebensjahrs, verstarb Brigitta Oestreich. Sie wurde in Kochel am See neben ihrem Mann, Gerhard Oestreich (1910-1978), beigesetzt. Der Rückblick zeigt ein bewegtes, zeitweise anstrengendes, aber schließlich unerwartet geruhsames Leben im Stift Augustinum in Dießen. Aus einer bürgerlichen, preußisch-lutherisch gesinnten Familie stammend, war für die junge Frau eine höhere Schulbildung nicht vorgesehen, sondern frühe Berufstätigkeit als „Sekretärin und Sachbearbeiterin in der gewerblichen Wirtschaft” wie sie es ausdrückte. Sie ging 1949 die Ehe mit Gerhard Oestreich ein, einem damals im Grunde mittellosen Akademiker, dessen Habilitationsschrift durch Bomben auf Berlin verbrannt war und der nach dem Krieg neue Orientierungen suchte, zunächst als Zimmermann, dann als Mitarbeiter der „Deutschen Literaturzeitung” und als Herausgeber von „Kürschners Deutschem Gelehrtenkalender”. Gemeinsam erarbeiteten sie den Weg in die Wissenschaft über die Stufen der Habilitation Gerhard Oestreichs 1954, seiner Privatdozentur an der Freien Universität Berlin, der Professur für politische Theorie am Otto-Suhr-Institut in Berlin 1958, der Professur für Neuere Geschichte an der Universität Hamburg 1962 und 1966-1975 an der Universität Marburg. Wie Brigitta Oestreich berichtete, schrieb sie in den Berliner Zeiten morgens um vier Uhr mit einer Reiseschreibmaschine die Vorlesung ihres Mannes, die er spät abends zuvor im Manuskript fertig gestellt hatte. Um sechs Uhr las er Korrektur und hielt um acht Uhr die Vorlesung.

Mit der Berufung nach Hamburg schwanden zwar die materiellen Sorgen, aber neue kamen hinzu. Gerhard Oestreich litt fortan an einer schweren Kreislauferkrankung, vermutlich eine Folge des vorausgegangenen entbehrungsreichen Lebens. Nun galt es die verringerte Arbeitskraft unbemerkt so zu organisieren, dass sie ganz der Wissenschaft und den akademischen Pflichten zugute kam. Sensibel und doch bestimmt hat Brigitta Oestreich das gemeistert; es reichte vom Kauf ganz leichter Mäntel über Hilfe beim Tragen der Aktentasche zum S-Bahnhof Blankenese und vom S-Bahnhof Dammtor zur Universität bis zum täglichen Spaziergang von zwölf bis ein Uhr. Die Berufung nach Marburg brachte einerseits mehr Unterstützung durch die der Professur zugeordneten Stellen (ein Akademischer Rat, drei Assistenten), andererseits tiefe Aufregung durch die einsetzende studentische Revolution, welche die historischen Fächer als „Hort der Reaktion” diffamierte – pikanterweise das Verdikt des Antisemiten Heinrich von Treitschke über seine Amtsvorgänger.

Brigitta Oestreich musste und wollte auch hier durchhalten und Räume der Wissenschaft abschirmen. Dabei wuchs sie aus der Rolle der protokollierenden Schreibkraft fast unbemerkt in die einer gleichberechtigten Diskussionspartnerin über zentrale historische Probleme der frühen Neuzeit. Überzeugendes Ergebnis war die gemeinsam erarbeitete Biografie König Friedrich Wilhelms I. (Friedrich Wilhelm I. Preußischer Absolutismus, Merkantilismus, Militarismus. Göttingen 1977), welche die Lebensbeschreibung des Monarchen zu einer Strukturanalyse des Absolutismus  erweiterte – ein gelungener Klassiker.

Forschungen über Otto Hintze mit dem Ziel einer umfassenden Darstellung von Leben und Werk konnte Gerhard Oestreich nicht mehr vollenden, hatte aber Teile des Nachlasses sammeln können. Dazu gehörten auch Reste der Korrespondenz zwischen Otto Hintze († 1940) und seiner jüngeren jüdischen Frau Hedwig Hintze († 1942), welche das Drama rassistischer Verfolgung bei unzerbrechlicher gegenseitiger Zuneigung widerspiegeln. Der Person Hedwig Hintze galt seit dem Tod Gerhard Oestreichs das wissenschaftliche Interesse Brigitta Oestreichs. Das geschah lange vor dem Aufleben der Frauenforschung, und bereits 1985 und 1986 erschienen erste biografische Studien. Den Höhepunkt brachte die sorgfältige Herausgabe der Korrespondenz zwischen Otto und Hedwig Hintze der Jahre 1925-1940, die 2004 unter dem Titel erschien: „Verzage nicht und laß nicht ab zu kämpfen” – ein Motto, das selbst bei Berücksichtigung aller Unterschiede auch für das Leben von Brigitta Oestreich gelten darf.

Nach Wiedergewinnung der deutschen Einheit unterstützte Brigitta Oestreich die Universität Rostock mit der Gelehrtenbibliothek Gerhard Oestreichs und durch die Errichtung der Oestreich-Stiftung (http://www.oestreich-stiftung.uni-rostock.de/) zur Förderung der Erforschung der frühen Neuzeit an der Universität Rostock. Ehrenvolles Gedenken ist Brigitta Oestreich gewiss.

 

Kersten Krüger, 12. Dezember 2011.