Ringveranstaltung des Historischen Instituts im Sommersemester 2017 zum Thema: Auf dem Weg in eine neue (Un)Ordnung? Die Rostocker Geschichtswissenschaften zu aktuellen Umbrüchen und Krisen

Zweifellos ist das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts in vielen Gesellschaften von der Wahrnehmung rapiden Wandels und grundlegenden Umbruchs geprägt, und dies auf vielen Feldern. Digitale Innovationen verändern unseren Alltag, unsere Kommunikationsformen und -bedürfnisse. Das Phänomen der Globalisierung hat unsere Wirtschaftsordnung wie unsere Wahrnehmung auf die Welt so stark umgestülpt, dass politische, wirtschaftliche und soziale Gegenbewegungen angeschwollen sind, die einen anderen langfristigen und scheinbar unaufhaltsamen Trend, den der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Liberalisierung, ins Stocken gebracht haben. Trotz weitreichender Vernetzung wird in vielen westlichen Ländern (andernorts ist das allerdings nichts Neues) eine Spaltung der Gesellschaft konstatiert. Nicht einmal mehr auf Fakten als Grundlage von Wissen und von Entscheidungen vermag man sich zu einigen; das Zeitalter der „Postfaktizität“ ist ausgerufen worden und „Populismus“ wird be-klagt, Objektivität und Subjektivität verschwimmen. Politische Polarisierung ist auch auf die internationale Bühne zurückgekehrt, auf der nicht nur der Ton rauer geworden ist, sondern die Regeln des diplomatischen und völkerrechtlichen Umgangs überhaupt in Frage gestellt werden. Nationalismen erfahren eine rasante Wiederbelebung, während inter- und supranationale Organisationen ihre Existenz verteidigen müssen. Langgehegte Selbstverständlichkeiten stehen plötzlich zur Disposition. Und schließlich werden im digitalen Zeitalter die Grenzen zwischen dem Privaten und dem Politischen in einer Weise eingerissen, deren Radikalität dann deutlich wird, wenn man die bundesdeutsche Diskussion um die Volkszählung in den 1980er-Jahren mit der serienmäßigen Preisgabe persönlicher Daten in den sog. Sozialen Netzwerken vergleicht oder wenn man aktuelle Korruptionsdebatten betrachtet.

Ob man in die Presse schaut, den Umgangston in Internetforen betrachtet, Kommunikationsstile von Politikern betrachtet – worüber sich fast alle Zeitgenossen zumindest in Europa einig sein dürften, ist, dass sie gerade eine fundamentale Krise erleben. Auch Historikerinnen und Historiker verfügen nicht über den Stein der Weisen, um die krisengeschüttelte westliche Welt wieder in ruhigere Bahnen zu führen. Aber sie können zu ihrer Erklärung beitragen, ihr Entstehen rekonstruieren und sie mit anderen, historischen Umbruchsphänomen und Gesellschaftsformen vergleichen, vielleicht auch ein Stück weit relativieren, denn Krisenerfahrungen stellen fast eine historische Konstante dar. Insoweit kann das Fach Geschichte tatsächlich Orientierung bieten, und in einem Punkt muss es auch leidenschaftlich Stellung beziehen: Faktizität ist Grundlage von Wissenschaft insoweit, als wissenschaftliche Forschung und Er-kenntnis auf den Grundsätzen von Plausibilität und Nachprüfbarkeit beruhen muss – Postfaktizität ist für die Wissenschaft im Speziellen wie auch für Politik und Gesellschaft im Allgemeinen Gift.

Das Programm entnehmen Sie bitte der beiliegenden PDF-Datei ...

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